Es ist der 9. August 1997 gegen 7.30 Uhr, wir sind an einem traumhaften Morgen bei stahlblauem Himmel im Abstieg vom Mount Blanc. Die Blicke schweifen über die Berge und man träumt von den nächsten Zielen. Reiner und ich waren, seitdem wir uns vor einem Tag an der Seilbahn von Les Houches kennen gelernt hatten, ein Herz und eine Seele. Beim Frühstück mit Blick auf die Aig. di Midi kam das erste Mal der Gedanke einer gemeinsamen
Durchsteigung der Watzmann Ostwand. Im August des darauf folgenden Jahres war es dann soweit. Der Rucksack war gepackt. Wir wollten an einem verlängerten Wochenende die Wand angehen. Nur das Wetter hatte etwas dagegen. Pünktlich zum Wochenende war eine Schlecht- wetterfront gemeldet und somit der erste Versuch im Ansatz erstickt.
Reiner wusste Rat, wir fuhren in Richtung Süden, um die Campanile Basso, eine Felsnadel in der Brenta (Dolomiten), zu besteigen.
Der tragische Tod von Reiner ein Jahr später ließ unsere gemeinsamen Träume sterben, die nicht nur die Durchsteigung der Ostwand betrafen.
August 2000 - Irene, Mario und ich sind auf dem Rückweg von einem 3-wöchigen Urlaub in den Ostalpen. Wir sitzen bei schönstem Wetter am Königssee und ich überlege seit Stunden, wie ich Mario diese Wand schmackhaft mache. Der Wetterbericht macht mir aber einen Strich durch die Rechnung: Schlechtwetterfront für die nächsten 5 Tage. Wir treten über einen Abstecher nach Salzburg im Regen die Heimreise an.
Die Hitze des heißen Sommers 2003 hat uns eher von der kroatischen Küste zurück in die Ost- alpen getrieben. Im Hinterkopf die Ostwand fuhren wir an den Hallstätter See, einem idealen Ausgangspunkt auch was die Einschätzung des Wetters anbetraf. Da war sie wieder, die Nach-
richt des Wetterdienstes: - Ab Mittwochabend bis Freitag Durchzug eines Tiefausläufers und ab Freitagnachmittag wieder Auflockerung von Westen her. –
Also Freitagmorgen Abfahrt bei leichtem Regen und tiefhängenden Wolken zum Königssee, wo man sich sofort nach dem Wetter für den nächsten Tag erkundigte. Die Prognosen sahen gut aus. Gegen 15.00 Uhr hatte ich Mario überzeugt. Wir packten also die Rucksäcke, um mit dem letzten Boot nach St.Bartolomä abzulegen. Davor hieß es erst mal Abschied nehmen von der Familie und klein Lisa und Irene schaute dem Boot noch hinterher. Nach einer reichlichen halben Stunde Bootfahrt kam sie zum Vorschein: die Ostwand und der Südgipfel noch in den Wolken. Aus dem Kletterführer wussten wir, dass es den Schlüssel für das Ostwandlager erst ab 18.00 Uhr in der Gasstätte gab. Also setzten wir uns auf die Terrasse und beobachteten bei einem Bier die abnehmenden Touristenmassen und das Herausziehen der Wolken aus der Wand. Nachdem wir unser Lager bezogen hatten, stiegen wir noch die dreiviertel Stunde bis zur Eiskapelle auf, wo man einen guten Einblick in die Wand hat. Wir hatten uns für den Berchtesgadener Weg entschieden, den wir uns mit dem Kletterführer in der Hand genau anschauten. Wir wussten, dass nicht die Schwierigkeit (mit max. III eingestuft) für uns das Problem darstellt, sondern eher die Wegfindung in der größten Wand der Ostalpen. Für den nächsten Tag lagen 2100 Hm von S.Bartolomä aus vor uns. Davon 1800 Hm und rund 3000 Klettermeter durch die Ostwand bis zum Südgipfel zu bewältigen. Die Nacht war kurz und gegen 4.30 Uhr klingelte der Wecker. Ein kleines Frühstück und los ging es im Schein der Stirnlampe zum Wandfuß. Da uns der Weg durch unsere abendliche Erkundungstour bekannt war, kamen wir gut voran, Nach einer Stunde hatten wir den Einstieg unmittelbar hinter der Gedenktafel erreicht. Ein schmaler Steig führte uns dem Sporn nach oben zum Schuttkar, eine große markante Stelle in der Wand.
Mittlerweile war die Sonne aufgegangen und tauchte die Wand in ein wunderbares warmes Licht. Nach Erreichen des Schuttkars legten wir die erste Pause ein, um uns kurz zu stärken, die Gurte anzuziehen und den Helm aufzusetzen. Ein kurzer Blick in den Führer und auf die Wand (noch fiel die Orientierung leicht) und weiter ging es durch das Kar auf einer Rampe in Richtung Plattenwand, in die wir etwas oberhalb hinein querten. Für den oberen Teil seilten wir uns kurz an, da wir eine Seilschaft über uns erkannten und das Gebiet stark steinschlaggefährdet ist. Die meisten Todesfälle in dieser Wand ereignen sich nicht durch einen Sturz, sondern durch Steinschlag. Oberhalb der Platte trafen wir auf einen Mann und seine Frau, die ebenso wie wir den Einstieg in die Rampe suchten. Der Mann hatte diesen Weg schon einmal begangen Das lag nach seinen Angaben aber 16 Jahre zurück. Jetzt wurde uns das erste Mal das Ausmaß dieser gewaltigen Wand richtig bewusst und die Wegfindung erwies sich als stellenweise problematisch. Aber kurze Zeit später fanden wir dank einer Bananenschale den richtigen Weg und beschlossen, gemeinsam weiter zu steigen. Es ging die Rampe nach oben, vorbei an der Wasserfallwand und den Biwakhöhlen, über Bänder und kurze Kletterstellen, (immer auf der Suche nach Steinmännchen oder kleinen grünen Punkten auf dem Fels) zur Biwakschachtel, wo die nächste größere Pause auf uns wartete. Einen großen Schluck aus der Trinkflasche und weiter ging es in die Gipfelschlucht, wo die letzten 400 Hm auf uns warteten. Am Anfang der Gipfelschlucht durchsteigt man die Gipfelkamine, die uns keine weiteren Mühen kosteten. Die letzte Schlüsselstelle erwartete uns kurz vor dem Gipfel. Sie war deshalb so gut zu erkennen, weil eine große Tritt- und Griffschlinge sie schon von weiten zierte. Wir stellten uns auf den relativ großen Tritt, nahmen einen der zwei Henkel und stiegen die letzten Meter zum Gipfel. Wir hatten es geschafft. In rund 6 Stunden durchstiegen wir diese Wand und Dank des netten Pärchens hatten wir keine weiteren Probleme in der Wegfindung.
Überglücklich genossen wir bei strahlendem Sonnenschein die Gipfelfreuden. Es boten sich herrliche Aussichten über das Berchtesgadener Land. Der Tiefblick auf die kleine Kapelle von St.Bartholomä, welcher uns durch die ganze Wand begleitete, war einfach gigantisch.
Aber auch jedes Gipfelglück muss einmal enden und dann steht der Abstieg bevor. Dieser erwies sich leider als sehr strapaziös. Vielleicht war er sogar anstrengender als alles, was wir an diesem Tage hinter uns hatten. Er führte uns durch das Wimbachgrieß und – tal und entpuppte sich als absoluter Hatscher. Nachdem wir endlich am letzten Ende des Wimbachtals ankamen, führte der Weg vorbei an der Wimbachhütte. wo auf uns ein kühles Bier wartete. Letztendlich legten wir noch einmal 13 km nach Ramsau zurück und wurden dort von der Familie schon sehnsüchtig erwartet. Es war eine schöne Tour. Sollte ich aber Irene einmal dort hinaufführen, werden wir ganz sicher die Überschreitung zum Watzmannhaus dem anderen Abstieg vorziehen.
Olaf Hoffmann